Fachartikel in der wwt
“Wasserwirtschaft Wassertechnik“
Ausgabe 4/2023
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Präventiver-Explosionsschutz-für-Silos-mit-getrocknetem-Klärschlamm_wwt_März-2023.pdfE-paper (robecco S.25):
Präventiver Explosionsschutz für Silos mit getrocknetem Klärschlamm
Moderne Gasanalysentechnik kombiniert mit vollautomatischen Steuerungen ist ein technologisches Standbein der robecco GmbH beim präventiven Explosionsschutz. Mit den entwickelten Technologien ist die sichere Überwachung von Klärschlammsilos kein Problem.
Im Zuge der Anlagenerweiterung im Fernwärmekraftwerk Kassel, das die Städtischen Werke Energie + Wärme GmbH betreiben, wurde eine Doppelsiloanlage in die bestehenden Fernwärmeerzeugungsanlagen implementiert. Über Kraft- Wärme-Kopplung mit zirkulierender atmosphärischer Wirbelschicht erzeugt man aus Braun- und Steinkohle sowie biogenen Ersatzbrennstoffen die Fernwärme der Stadt Kassel. Im Zuge der Erweiterung wurde ein Silo-Zwischenspeicher für den getrockneten Klärschlamm im Bestand installiert. Die Städtischen Werke verfolgen damit den nachhaltigen Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, der zwischenzeitlich auf das Jahr 2025 festgelegt wurde.
Mit der Lagerung von getrocknetem Klärschlamm und damit auch staubhaltigen biogenen Festbrennstoffen musste die Anlage im Rahmen des bestehenden Explosionsschutzdokumentes für „Lagersilos für getrockneten Klärschlamm“ der projektbegleitenden BfU AG (Betreuungsgesellschaft für Umweltfragen Dr. Poppe AG) ausgeführt werden.
Bei dem Lagerprodukt handelt es sich um hochgetrockneten Klärschlamm mit einem Trocknungsgehalt von > 85 %, mit dem eine enorme Staubbelastung einhergeht. Letztere stellt eine potenzielle Explosionsquelle dar. So besteht bei der Lagerung von staubbelasteten organischen Produkten immer eine potenzielle Gefahr einer Explosion, die durch mannigfaltige Zündquellen in einem produzierenden Betrieb immer gegeben sind. So können heiße Oberflächen, statische Aufladung, eingebrachte Brandnester oder auch eine erhöhte Reibung an sich drehenden Achsen und Motoren für Hitze und somit Brandgefahr sorgen, die schlussendlich verheerende Explosionen herbeiführen können. Grundlegende Vo-raussetzungen für das Zustandekommen einer Explosion sind das Vorhandensein von ausreichend Brennstoff, Sauerstoff, einer Zündquelle und einer Staubwolke in einer entsprechenden Einhausung (Silo). Diese fünf Bausteine sind bei der industriellen Lagerung und Verarbeitung von getrocknetem Klärschlamm allgegenwärtig und stellen ein enormes Risiko dar. Risiko einer Selbstentzündung durch Staubanteil.
Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) hat deshalb aufgrund der steigenden Substitution von Kohle durch getrockneten Klärschlamm das DWA-Regelwerk mit dem Merkblatt DWA-M 379 aus dem Jahr 2004 überarbeitet. Es nimmt Bezug auf veränderte Nutzungsmöglichkeiten und Verfahren bei der Verwertung von getrocknetem Klärschlamm. Die Neufassung betrachtet nun auch gesondert die Gefahren bzw. Risiken und nimmt sicherheitstechnische Aspekte in den Fokus. Ein besonderes Risiko geht hierbei aus dem Staubanteil des Brennstoffs hervor. In Abhängigkeit von Trocknungsgrad, Korngröße und Kornverteilung bedarf es zur Zündung einer maximal zulässigen Oberflächentemperatur von nur 145 °C bei einer 5 mm hohen Staubablagerung.
Ein hochgetrockneter Klärschlamm (TS-Ge-halt > 80 %) wird auch im Merkblatt M 116 „Brand- und Explosionsschutz beim Trocknen und Verbrennen von Klärschlamm“ der Technischen Vereinigung der Grosskraftwerksbetreiber e. V. (VGB) in seinen Eigenschaften mit Brennstoffen wie Braunkohlestaub verglichen. Daher sind die Maßnahmen des präventiven Explosionsschutzes bei der Lagerung von getrocknetem Klärschlamm unverzichtbar – zum Schutz der Mitarbeitenden und der gesamten Produktionsanlage. Das Merkblatt weist auch explizit auf eine vollumfängliche, permanente Gasüberwachung im Silo hin. Zudem sei die Inertisierung eine geeignete Maßnahme zur Gefahrenabwehr bei gleichzeitiger Überwachung des vorliegenden Sauerstoffgehalts im Aggregat. Schutz vor Explosion.
Generell unterteilt sich der Explosionsschutz in drei Säulen:
Beim primären Explosionsschutz geht es um die Vermeidung von explosionsfähigen Atmosphären, worunter beispielsweise der Prozess der Inertisierung zu verstehen ist. Als sekundärer Schritt ist die wirksame Vermeidung von Zündquellen zu sehen, um eine Explosion zu verhindern. Hierunter fällt die klassische Ex-Zonen-Aufteilung oder auch ein ausreichender Schutz vor Funken, Flammen, Reibung, Hitze, elektrostatischen Entladungen oder Ähnlichem.
Der tertiäre Explosionsschutz umfasst die baulichen/konstruktiven Lösungen, um die Ausmaße von Explosionsereignissen zu minimieren. Hierunter fallen dann selbsttätig wiederverschließbare Explosionsklappen, die eine gezielte Druckentlastung ermöglichen und anschließend die Aggregate wieder verschließen. Damit soll vermieden werden, dass atmosphärischer Sauerstoff ein anschließendes Brandereignis sprichwörtlich „befeuert“. Ebenso zu nennen sind hierbei Apparate in druckstoßfester Ausführung oder Rohrleitungsschnellverschlüsse. Um frühzeitig ein solches Ereignis detektieren und den Status im geschlossenen Zustand bewerten zu können, wird die Atmosphäre der Silos permanent überwacht.
Die robecco Gasentnahmesonde RSP-1 mit integriertem Filtersystem und pneumatischer Druckluftreinigung ermöglicht eine lange Lebensdauer und störungsfreie Messgasentnahme. Das Messgas wird dann über eine beheizte Entnahmeleitung im Gasmessschrank analysiert. Über die Messgasaufbereitung wird das Gas der eigentlichen Gasanalyse-Einheit robecco Gasanalysator RGA-CGM5 feuchtefrei und gereinigt zugeführt. Die Gasanalyse-Einheit misst über Infrarotmessungen den Gehalt an Kohlenmonoxid (CO) und mittels elektrochemischer oder paramagnetischer Zelle den Sauerstoffgehalt (O2) in Echtzeit. Bereits ein beginnender Schwelbrand kann so anhand des sich bildenden Kohlenmonoxids (CO) frühzeitig erfasst werden, da Gase auch in Schüttgütern hindernisfrei aufsteigen und im Kopfraum des Silos gemessen werden. Der CO-Wert gilt daher als Indikator-Wert. Die Sauerstoffmessung agiert im Alarmfall als Stellgröße, über die die Eindüsung des Inertgases geregelt wird, um das Silo in einem inerten bzw. sichereren Zustand zu halten.
Der robecco-Gasanalysator kann darüber hinaus noch eine Vielzahl anderer Gasbestandteile wie SO2, NO, NO2, CH4, H2S oder H2O überwachen und ist somit für weitere Messaufgaben einsetzbar. Eine intelligente Auswertung der Messdaten erfolgt im robecco SECURE CENTER, das vollautomatisch und permanent die Siloatmosphäre überwacht und auswertet. Im Fall einer Alarmierung wird eine N2-Inertisierung des Silos vollautomatisch und unmittelbar ausgelöst. Dies bedeutet, dass ein inertes, sprich reaktionsträges Gas, beispielsweise Kohlensäure (CO2) oder wie im Projekt Kassel Stickstoff (N2), den Sauerstoff im Silo verdrängt und damit den Sauerstoffgehalt im Aggregat unter die explosionsfähige Grenze reduziert. Die untere Sauerstoff-grenzkonzentration (SGK) ist abhängig vom Lagergut und variiert in der Regel zwischen 8 und 14 %-Vol-O2. Die Atmosphäre ist in diesem Fall zu „mager“ und der fehlende Sauerstoff macht eine Explosion unmöglich. Als zusätzliche Sicherheit unterschreiten die robecco-Inertisierungsanlagen die Sauerstoffgrenzkonzentration um weitere 2 %, um die Sicherheit weiter zu erhöhen und möglichen Messfehlern bzw. Messtoleranzen vorzubeugen.
Die Lagerung des Inertgases erfolgt bei dieser Systemkonfiguration in sechs N2-Flaschenbündeln, die jeweils aus zwölf Stück N2-Hochdruckflaschen mit einer Füllung von ca. je 9,5 m³ N2-Gas bei 200 bar bestehen. Ein N2-Bündel beinhaltet somit eine Vorratsmenge von 114 m³. Diese Bündel sind an die Ventilstation angeschlossen. Durch das Öffnen der elektromechanischen Ventile an der Ventilstation strömt das Gas in die angeschlossenen Aggregate. Gemäß der robecco-Sicherheitsphilosophie wird mindestens das dreifache Volumen der zu schützenden Aggregate bevorratet. Dieses Volumen wurde definiert, um in der Lage zu sein, die Atmosphäre der Silos im Gefahrenfall dreimal austauschen zu können. Ein dreifacher Austausch ermöglicht es, einen Sauerstoffgehalt von unter 2-3%-Vol.-O2 zu erreichen, mit dem ein Glimmbrand im geschlossenen Silo erstickt werden kann. Bei größeren Anlagen kommen auch CO2-Hochdrucktanks zum Einsatz, die bei einem Betriebsdruck von 50–60 bar eine Speicherkapazität von bis zu 7.500 m³ Inertgas besitzen.
Bei dem Siloprojekt der Städtischen Werke Kassel handelt es sich um eine Doppelsiloanlage mit einem gemeinsamen Dosierbehälter. Das gesamte Lagervolumen beträgt 150 m³. Daraus ergibt sich rein rechnerisch ein vierfacher Austausch der Siloatmosphäre bei ungefüllten Silos. Die Befüllung der Silos erfolgt direkt aus Silofahrzeugen mit einer Förderleistung von 40 t/h. Die Entnahme aus dem Silo erfolgt über eine Zellenradschleuse in die pneumatisch betriebene Brennstoffleitung zur Kesselbeschickung. Um im Alarmfall den gesamten Silokörper schnellstmöglich mit Inertgas beaufschlagen zu können, kommen neben den Injektionsdüsen auf dem Silodach auch Düsen im jeweiligen Oszillomat des Silos und im gemeinsamen Dosierbehälter zum Einsatz. Somit wird ein schnelles Fluten des Silos von „oben“ wie auch von „unten“ ermöglicht.
Die robecco-Inertisierungsanlage, die als vollautomatisches und vom Leitsystem abgekoppeltes Sicherheitssystem autark operiert, entspricht den gängigen Richtlinien zum Explosionsschutz. So liefert das robecco Secure System dem Leitsystem alle benötigten und gewünschten Parameter. Bei einem Ausfall des Leitsystems kann die autarke Steuerung weiterhin die Gasüberwachung durchführen, die Inertisierungsanlage steuern und somit die Siloanlage schützen. Ist die Anlage in eine unterbrechungsfreie Spannungsversorgung eingebunden, kann die Gasüberwachung über eine lange Zeit hinweg sicher erfolgen. Im Projekt der Städtischen Werke in Kassel wurde die SPS-basierte Steuerung zusätzlich mit einer Fail-Safe-Funktion ausgerüstet, die eine permanente Selbstüberwachung der Steuerung durchführt. Dadurch werden Fehler unmittelbar erfasst und eine Ausfallwahrscheinlichkeit der Sicherheitstechnik lässt sich zusätzlich minimieren.